Ich brenne für die Reinheit – Interview mit Tanja Milos

Tanja Miloš, 24, leitet die Initiative Reine Herzen in der Schweiz. Für sie ist Keuschheit nicht Mauerblümchendasein und Peinlichkeit, sondern der beste Lifestyle, den es gibt. Ein Interview.

Cathwalk: Liebe Tanja, was ist Reine Herzen eigentlich genau?

Tanja Miloš: Reine Herzen ist eine Initiative von und für junge Menschen zwischen 16 und 35 Jahren, die in Keuschheit vor der Ehe leben möchten. Bei uns kann man das Versprechen ablegen, bis zur Ehe mit der Sexualität zu warten. Daher auch der Begriff Reine Herzen. Man bleibt rein und das Herz auch. Wir sind bemüht, im Glauben zu wachsen, durch die Heilige Messe, die Sakramente und durch Glaubensvermittlung. Wir organisieren Wallfahrten, Einkehrtage und Exerzitien für junge Menschen. Vor allem sind wir entschlossen, mit der körperlichen Hingabe bis zur Ehe zu warten – eine Gegenbewegung zum gesellschaftlichen Mainstream, der die sexuelle Vereinigung von Mann und Frau außerhalb der Ehe propagiert. 

Cathwalk: Du findest das Wort „Keuschheit“ nicht irgendwie komisch?

Miloš: Nein, überhaupt nicht.

Cathwalk: Du sagst das alles so selbstbewusst.

Miloš: Ja, absolut. Ich stehe auch voll dazu.

Cathwalk: „Keuschheit“ sagt man ja heute eigentlich nicht mehr …

Miloš: Was soll ich denn sonst sagen? „Enthaltsamkeit“? Ich finde Enthaltsamkeit ist so ungenau. Enthaltsamkeit bedeutet für mich mehr „Enthaltsamkeit üben“ das kann für viele Bereiche im Leben gelten, wobei Keuschheit für mich klarer sexuelle Reinheit / Unberührtheit / Jungfräulichkeit widerspiegelt. Ich habe bei Augustinus den Satz gelesen: „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst … Nur wer selbst brennt, kann Feuer in anderen entfachen.“ Da wurde mir klar, dass ich unter anderem für die Keuschheit brenne.

Cathwalk: Wenn man sich mit Reine Herzen beschäftigt, stößt man auf den Namen Anna Golędzinowska. Was ist die Geschichte dahinter?

Miloš: Anna Golędzinowska ist ein polnisches Model. Sie kam aus ärmlichen Verhältnissen und erträumte sich als Märchenprinzessin ein prächtiges Leben. Sie geriet in die Fänge eines Zuhälterringes in Turin, floh und arbeitete sich zum Showgirl im Dunstkreis Berlusconis hoch. Echte Liebe kannte sie nicht. Erst als sie in Medjugorje den Kreuzweg betete und allen verziehen hat, begann ihr Herz zu heilen und sie erhielt die Gnade der Keuschheit. Sie wollte diese Gnade nicht für sich behalten und gründete Cuori Puri – Reine Herzen. Mittlerweile gibt es Reine Herzen in vielen europäischen Ländern.

Cathwalk: Wie groß ist Reine Herzen in der Schweiz?

Miloš: Wir sind etwa 50 Personen, die das Keuschheitsgelübde abgelegt haben.

Cathwalk: Gibt es Heilige, die für euch wichtig sind?

Miloš: Auf jeden Fall, in unserer Kapelle hängt ein Bild von Carlo Acutis und von Johannes Paul II. 

Cathwalk: Thematisiert ihr auch die katholische Morallehre?

Miloš: Wichtig ist bei uns die Theologie des Leibes. Wir behandeln auch Themen aus dem Youcat und sprechen über Themen wie: Was ist erlaubt, was nicht? Ist Sex vor der Ehe ok? Kann denn Liebe Sünde sein? Ein Blick auf Selbstbefriedigung, Unzucht und Prostitution. Mann und Frau – so verschieden. Zusammenleben, Verhütung, Abtreibung … Ich glaube was Gut und was Böse ist, weiß jeder Mensch im tiefen inneren selber.

Cathwalk: Im „Bless Magazin“ 05/23 hast du geschrieben: „Entweder beherrschen wir unsere Triebe und Leidenschaften, oder unsere Triebe und Leidenschaften beherrschen uns!“ Würdest du sagen, dass das Thema Keuschheit auch etwas mit Freiheit zu tun hat?

Miloš: Ja! Man braucht eine gewisse Disziplin, aber dann ist man frei und nicht triebgesteuert. Ich spreche aus Erfahrung, dass man ein geöffnetes und reines Herz bekommt, wenn man sich in dieser Tugend übt, was in der heutigen Zeit niemandem schadet. Keuschheit ist bei mir inzwischen selbstverständlich. Sie stand auch nie in Frage, bevor ich mich für die Keuschheit entschieden habe. Sie befreit auch davon, sich mit anderen Personen viel zu schnell zu binden, man wird nicht so emotional abhängig und dann am Ende enttäuscht. Ich erlebe es oft in meinem Umkreis, dass Menschen zu schnell intim werden und dann kommt das traurige Erwachen.

Cathwalk: Würdest du auch sagen, dass der Wert von Keuschheit und Jungfräulichkeit in unserer Gesellschaft verloren gegangen ist? Jungfräulichkeit gilt heute als Makel. Beispielhaft dafür ist der deutsche Fernsehfilm: „Endlich Sex!“. Er handelt von der 17-jährigen „Saskia“, die endlich als letzte in ihrem Freundeskreis ihre Jungfräulichkeit loswerden möchte.

Miloš: Ich glaube, wenn man im Glauben steht, schätzt man das schon. Ich nehme immer wieder wahr, wie sich Männer eine keusche und jungfräuliche Frau wünschen, selbst aber gar nicht keusch leben. Heute ist das vor allem im Islam noch so. Dort gibt es eine Frau zum „Ausleben“ und eine Jungfrau zum Heiraten. Ich glaube aber auch, dass Jungfräulichkeit generell geschätzt wird, aber viele haben Angst, am Ende allein dazustehen und der Mut fehlt, gegen den Strom zu schwimmen, weil man ja sonst „uncool“ ist. Es gibt heute einfach zu wenige Vorbilder dafür oder zu wenige Menschen, die dahinterstehen und offen Zeugnis geben. Heute geben viele mit ihrer Body-Count-Anzahl an und messen sich untereinander, wer den höchsten Body Count, die meisten sexuellen Erfahrungen hat. Bei mir kann man mit solchen Aussagen nicht punkten.

Cathwalk: Du verkörperst nicht das Klischee eines „keusch-katholischen Mauerblümchens“, bei der man denkt: „Die kriegt eh keinen ab und jetzt verklärt sie ihr Elend“.

Miloš: Das stimmt. Ich habe schon von vielen gehört: „Was, du lebst noch in Keuschheit – hätte ich jetzt nie gedacht.“

Cathwalk: Wie stehst du zum Thema Feminismus?

Miloš: Ich verstehe das nicht so ganz. Vor allem, wenn es um die Rollenverteilung von Mann und Frau oder um Gleichstellung geht. Ich glaube, die sozialen Medien haben hier einen großen Einfluss. Ich halte nicht viel von Feminismus, weil ich mit der Definition ein Problem habe. Männer und Frauen sind gleich viel wert, ja, aber Frauen können nicht alles, was der Mann kann, und der Mann kann nicht alles, was die Frau kann (z.B. Kinder gebären). Wir sollten uns gegenseitig vielmehr respektieren, der moderne Feminismus ist nichts anderes als purer Männerhass. Indem Frauen gegen Männer aufgehetzt werden und die Partnerschaft und Gemeinschaft der Familie zerstören, schaffen wir eine kaputte Gesellschaft. Außerdem will ich die Feministinnen mal auf Baustellen oder Bohrinseln sehen – dann hört das ganz schnell auf. Wenn du die Geschichte von Adam und Eva kennst, dann ist das gar kein Thema. Feminismus ist, glaube ich, auch eine Art Schutzmauer für die Frauen ist, um nicht mehr verletzt zu werden.

Cathwalk: Gerade in den sozialen Medien sind auch antifeministische oder traditionelle Positionen wieder im Trend. Beispiele sind Pearl Davis oder Jordan Peterson. Sie sagen, dass die klassischen Rollenbilder nach wie vor gelten: Feminismus sei eine Lüge. Die Frau wolle nicht die Führung übernehmen, sonst verliere sie den Respekt vor ihrem Mann. Sie wolle nach wie vor zum Mann aufschauen, der Mann wolle, dass seine Frau gut aussehe. Die Ärztin würde keinen Krankenpfleger heiraten, aber der Arzt eine Krankenschwester usw.

Miloš: Ja, es ist so. Ich möchte auch nach wie vor zum Mann aufschauen können und ich denke, es geht jeder Frau so. Wenn ein Mann eine höhere Position hat, mehr verdient und weiter im Glauben ist, man von ihm lernen kann und er für sie und die eigene Familie sorgen kann, ist das ziemlich attraktiv. Es zeigt Sicherheit, Stabilität, Reife und richtiges Mannsein. Vor allem im Hinblick auf die berufliche Karriere ist das aber ein großes Thema, auch für mich. Für eine Frau wird es schwieriger, einen Mann zu finden, je höher ihr Beruf ist und desto gebildeter und selbständiger sie ist. Sie setzt damit automatisch eine höhere Messlatte für den Mann.

Cathwalk: Ist das Thema Reine Herzen und Keuschheit auch wichtig, weil Sexualität bindet, vor allem dann, wenn man der erste Mann im Leben einer Frau ist?

Miloš: Es ist zumindest so, dass man eine Sammlung an Vergleichen anhäuft, wenn man mehrere Männer ausprobiert hat. Ich zweifle manchmal daran, ob Frauen oder auch Männer dann jemals vom Partner zufrieden gestellt werden können. Man lässt sich schneller scheiden, weil man eh schon alles vor der Ehe „ausgelebt“ hat. Ich habe das schon so oft erlebt.

Cathwalk: Es gibt den Spruch, man kaufe keine „Katze im Sack“. Und wenn man vor der Ehe nicht wisse, ob es sexuell funktioniere, könne man nicht heiraten. Was sagst du dazu?

Miloš: Also ich will meinen zukünftigen Ehemann erstmal menschlich kennenlernen. Es muss zuerst religiös, menschlich und grundsätzlich passen. Wenn das passt, wird auch alles andere passen. Heutzutage ist es aber meistens genau umgekehrt, nur der Sex passt und alles andere nicht. Dann, finde ich, wird es in einer Beziehung schwierig und es ist nur eine Frage der Zeit, bis man getrennte Wege geht oder rein aus sexueller Sicht zusammenbleibt. Eine Beziehung rein auf Sex aufzubauen, finde ich sehr schwach und instabil, vor allem langfristig gesehen. Ich sage auch immer, dass Gott einen am besten kennt und die richtige Person an die Seite stellt.

Cathwalk: Der Philosoph Joseph de Maistre sagte: „Die nie versiegende Quelle der Bevölkerung … ist die Enthaltsamkeit in dem Zölibat und die Keuschheit in der Ehe. Die Liebe paart; die Tugend bevölkert.“ Gibt es einen Zusammenhang zwischen Keuschheit, weniger Scheidungen, mehr Kindern und weniger Abreibungen?

Miloš: Ja. Ich sehe Keuschheit auch als Abtreibungsprävention. Würden mehr Menschen keusch leben, müssten sie sich gar nicht mit dem Thema Abtreibung beschäftigen. Bei Reine Herzen haben auch einige Paare zusammengefunden, darunter Paare, welche verlobt oder mittlerweile verheiratet sind. Ich freue mich auf den Nachwuchs, der die Verheirateten erwartet.

Cathwalk: Der Cathwalk ist ein Online-Magazin der katholischen Tradition. Daher muss auch immer eine Frage kommen: Wie stehen Du und Reine Herzen zum Thema Alte Messe und Tradition?

Miloš: Ich bin schon öfter in der Alten Messe gewesen. Mittlerweile gibt es aber nicht mehr so viele Alte Messen bei uns. Einige Priester feiern lieber die Neue Messe, einige lieber die Alte Messe. Ich bevorzuge natürlich die Alte Messe, aber wir überlassen es dem jeweiligen Priester, das zu entscheiden. Ich finde es wichtig, dass die Messe andächtig und ehrfürchtig gefeiert wird. Anhand von dem, wie der Priester die Messe feiert, sieht man einfach, wie er seine Berufung lebt und wie fest er daran glaubt. In dem was er tut, sieht man, wie groß seine Liebe zum Herrn Jesus Christus ist.

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